So flexibel wie bei einer Impro – ohne Impro

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Gradlinige Abenteuer sind für viele Gruppen eine tolle Sache. Ich kenne haufenweise Spieler, die sich gern zurücklehnen und ein wenig bespaßen lassen. Sie haben Freude an einzelnen Situationen, in denen sie kleine Entscheidungen treffen und ab und zu würfeln können, genießen es aber genauso, sich von einer Story führen zu lassen. Sie mögen diese Eisenbahnfahrt, wie andere Menschen es mögen, in die Geisterbahn zu gehen. In der Geisterbahn würde ja auch niemand auf die Idee kommen auszusteigen und hinter die Pappkulissen zu schauen (und wenn doch, dann bricht er die Regeln und erhält Hausverbot).

Freiere Abenteuer, in denen die Entscheidungen der Spieler wirklich den Ablauf der Handlung verändern, werden aber generell bevorzugt. Je freier ein Abenteuer wird, desto mehr Ansprüche stellt es aber an den Spielleiter. Er muss entweder sehr viel mehr vorbereiten (Flußdiagramme voller detailliert ausgearbeiteter Begegnungen, von denen schlussendlich viele nicht benutzt werden), oder er muss während des Spielabends häufig improvisieren. Ein Stil mit wenig Vorbereitung, bei dem man sich fallen lässt und hofft, dass Spieler und Kreativität einen sicher durch den Abend bringen, kann allerdings beängstigend sein.

Vor kurzem hatte ich endlich Gelegenheit „Beyond the Wall“ auszuprobieren. Wir spielten „Der Grüne Mann“ aus dem ersten Abenteuerband „Der König des Berges“. Ich hatte das Abenteuer nur einmal am Vormittag überflogen und war erstaunt, wie gut es funktionierte. Wir spielten von 13 Uhr bis ca. 19:30 Uhr. Die Erschaffung von Dorf und Charakteren dauerte knapp zwei Stunden, also hatten wir einen kompletten Spielabend von über vier Stunden, ohne dass ich etwas vorbereitet hätte. Das Abenteuer war durchweg kurzweilig, und ich musste am Ende sogar einen Gang zulegen, um fertig zu werden. Während des gesamten Spiels musste ich nur einmal improvisieren, mir also etwas ausdenken, dass sich nicht automatisch aus Punkten der Tabellen ergab. Die restliche Zeit würfelte ich auf die Tabellen oder ließ die Spieler würfeln. Manchmal suchte ich auch einfach einen Punkt aus, der mir gerade besonders gut gefiel.

Das warf bei mir die Frage auf, wie man diese Art Abenteuergestaltung für die eigenen Abenteuervorbereitung nutzen kann. Während meiner Arbeit an dem Buch „Abenteuer gestalten“ (es erscheint voraussichtlich Anfang nächsten Jahres), erwähne ich immer wieder, wie toll Listen sind. Ungeordnete Listen mit Begegnungen, Hinweisen, Beobachtungen oder Situationen geben dem Spielleiter, was er an Informationen braucht, ohne ihn durch festgelegte Handlungen einzuschränken. Und sie machen Improvisation unnötig, denn der SL muss sich nichts ausdenken, sondern nur auswählen. Zwar muss sich der Spielleiter auch hier mehr ausdenken, als er am Ende nutzt, doch geschieht dies in Form von Stichwortlisten und nicht ausgearbeiteten Begegnungen. Das macht die Arbeit sehr viel einfacher und den Einsatz am Spieltisch flexibler.

Ich habe diese Idee ein wenig in meinem Kopf hin- und hergewälzt und am Ende kam etwas heraus, das den „Schablonen“ sehr ähnlich ist, die ich für das Buch konzipierte. (Ich beschreibe für jedes Genre, das ich Buch diskutiere, eine Schablone.) Schablonen sind so eine Art Kochrezept: Man nehme einen Bösewicht, ein Ziel und noch ein paar Zutaten und fertig ist ein Abenteuer einer ganz bestimmten Struktur. (Diese zusätzlichen Zutaten sind es, worin man die Genre unterscheidet.) Man kann diese Schablonen ein- oder zweimal unverändert einsetzen, bevor die Struktur von den Spielern wiedererkannt wird.

Dieses Beispiel hier sollte sogar häufiger funktionieren, denke ich. Der Spielleiter wird die Listen immer wieder anpassen, je nachdem welche Art Abenteuer er spielen möchte. Durch die Veränderung kommt Abwechslung ins Spiel und durch die Abwechslung bleibt es spannend.

Jeder Punkt sollte nur mit einer handvoll Stichworte beschrieben werden. Monsterwerte und falls erforderlich skizzierte Karten kommen unsortiert in einen Anhang, damit der Spielleiter sie flexibel dann einsetzen kann, wenn er sich benötigt.

Um ein Abenteuer mit zeitlich und örtlich flexiblen Stichwortlisten zu leiten, benötigt man als Spielleiter nur zwei Dinge:

  1. Den Mut, es einfach zu tun, und
  2. ein klein wenig Gefühl für die Stimmung am Tisch und die Flexibilität, den Spielern einfach hinterherzulaufen, wenn sie sich etwas ausdenken.

Zutatenliste:

  • Ein Gegner. Die Hütte der angeblich unsterblichen Hexe Baba-Yaga erscheint im Wald und mit ihr bösartige Raubtiere.
  • Der Plan des Gegners. Kein Spezieller. Allein ihre Anwesenheit macht den Wald nach und nach zu etwas Unheimlichem und Bösartigem, sodass das Dorf am Waldrand, in dem die Charaktere leben, sehr bald keinen Ort mehr hat, um Torf zu stechen oder zu jagen.
  • Ein Rätsel oder eine Frage, zusammengesetzt aus zwei oder drei Teilen. Woher kommt Baba-Yaga und warum hat sie diesen Ort verlassen? Wo befindet sich ihre Hütte? Wie vertreiben die Charaktere die unsterbliche Hexe bzw. was ist ihre Schwäche? (Optionale Pointe: In den Märchen hat die menschenfressende Hexe mit den Eisenzähnen manchmal zwei oder drei Schwestern, die ebenfalls Baba-Yaga heißen. Verbirgt sich dahinter vielleicht eine Schwäche? Oder was könnte es sonst für das Abenteuer bedeuten?)
  • 1. Liste: Ereignisse und Informationen, die zur Aufgabenstellung hinführen. Kampf mit aggressiven Waldtieren. Spuren oder Sichtung der Hütte mit den Hühnerbeinen. Verschwundene oder verwundete Jäger oder Torfstecher.
  • 2. Liste: Hinweise, die zur Lösung der oben aufgeworfenen Rätsel führen. Spuren der Hütte. Tierspuren, die aus einer bestimmten Richtung kommen. Legenden über die Hexe Baba-Yaga, ihre Schwestern und ihre Schwachstellen. Geschichten über die Kräfte der Hexe.
  • 3. Liste: Begegnungen, die überwunden und Ereignisse, die erfahren werden müssen, um an jeweils einen Hinweis zu kommen. Der bärbeißige Köhler, der im Wald lebt, schwebt in Gefahr. Kampf mit Tieren. Ein Mann auf der Flucht. Eine Dryade kommt ins Dorf der Charaktere und bittet darum, eine Eiche auf dem Dorfplatz pflanzen zu dürfen, um darin zu wohnen – und natürlich ist kein Mann des Dorfes mehr sicher (nicht zwangsläufig eine echte Gefahr, vielleicht werden sie nur von ihrem Liebreiz angezogen).
  • 4. Liste: Ereignisse, die zum Showdown führen und verschiedene Alternativen für den Showdown selbst. Die Gefahr verdichtet sich. Die Hütte Baba-Yagas kommt näher. Belagerung des Dorfes durch Waldtiere. Eindringen in die Hütte der Hexe und Kampf.

Anmerkungen:

Die zweite und dritte Liste (Hinweise und Ereignisse, die zu Hinweisen führen) sind absichtlich getrennt. Wie im Buch beschrieben, gibt die Trennung dem Spielleiter die nötige Flexibilität, um Sackgassen und Railroading zu vermeiden. Ob der Köhler den Charakteren etwas erzählt, oder er in der erwähnten Gefahr umkommt und sich der Hinweis in seiner Hütte verbirgt, ist für das Vorankommen der Charaktere egal. Auch welcher Hinweis genau in der Hütte ist, ist egal. Hauptsache die Charaktere haben am Ende genug Hinweise, um sich ins Showdown stürzen zu können.

Ich würde die Listen immer etwas länger machen, als unbedingt notwendig. Mehr Punkte auf den Listen bedeuten mehr Flexibilität. Ich denke, im Abenteuer sollten die Charaktere mit zwei bis vier Punkten von jeder Liste in Berührung kommen. Ich würde jeder Liste dementsprechend fünf bis sechs Punkte geben, vielleicht mehr, wenn mir zusätzliche Ideen kommen.

Die vierte Liste ist vielleicht am schwierigsten zu erschaffen. Der Spielleiter benötigt verschiedene Alternativen, die sich gegenseitig größtenteils ausschließen. Findet der Höhepunkt des Abenteuers im Wald bei der Hütte statt? Oder vielleicht im Wald am Sammelpunkt der wilden Waldtiere? Oder im Dorf, das belagert wird? Der Spielleiter sollte alle Orte und Gegebenheiten berücksichtigen, die er für möglich hält, und in eine Liste schreiben. Zwei bis drei Stichworte genügen jeweils. Das Abenteuer wird normalerweise ganz von allein auf einen dieser Punkte zulaufen – und falls nicht, hat sich der Spielleiter genug Gedanken gemacht, um einen neuen Höhepunkt problemlos zu improvisieren.

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Andreas

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