[Abenteuer: Bücher!] Die Chroniken von Amber, Band 2 bis 5

Abenteuer: Bücher ist meine kleine Artikelreihe, in der ich Bücher bespreche und Rollenspielkonzepte daraus extrahiere. Entgegen meiner sonstigen Philosophie verrate ich gnadenlos Geheimnisse und Pointen der besprochenen Geschichten.

“Die Chroniken von Amber” sind Klassiker der Fantasyliteratur. In einem früheren Artikel dieser Reihe habe ich mich mit dem ersten Teil “Die neun Prinzen von Amber” beschäftigt. Nachdem nun die Grundlage gelegt ist, widme ich diesen Artikel den nächsten vier Teilen des ersten abgeschlossenen Zyklus’. Nr. 6 bis 10 der Reihe bilden einen eigenen abgeschlossenen Zyklus, werden aber allgemein als weniger beeindruckend angesehen und liegen mir nicht vor.

“Die Gewehre von Avalon” ist der zweite Teil von Roger Zelaznys Amber-Zyklus. Nachdem Corwin aus den Kerkern von Amber entkommen konnte, und er wieder sehen kann, sinnt er auf Rache. Er reist durch die Schatten in das Land Lorraine, wo er auf Ganelon trifft, den er einst selbst verbannte. Das Land wird von einem sich ausbreitenden Kreis bedroht, aus dem Monster und Untote kommen. Als Corwin den Sieg über den Kreis erringt, macht er die erschreckende Entdeckung, dass er für dessen Entstehung selbst verantwortlich sein könnte. Als er in den Kerker von Amber beworfen worden war, sprach er einen Todesfluch über die Burg aus. Könnte der Kreis ein Ergebnis dieses Fluchs sein?

Während seiner Reisen, lernt er Dara kennen, die angeblich die Enkelin seines Bruders Benedict ist und während dieses “Kennenlernens” die Mutter seines Sohnes Merlin wird – was sich aber erst in Band 5 herausstellt. Corwin besorgt ein bestimmtes Material und lässt sich daraus Patronen für Gewehre bauen, die auch in Amber funktionieren. Normales Schießpulver versagt in der speziellen Physik des Zentrums der Welt. Auf der Reise entdeckt er eine schwarze Straße, die sich durch die Schatten auf Amber zubewegt und vielleicht ebenfalls ein Ergebnis seines Todesfluchs ist. Mithilfe seiner Gewehre kann er einen Angriff der Wesen der schwarzen Straße auf Amber vereiteln. Sein Bruder Eric stirbt bei dem Kampf und so wird Corwin zum neuen Herrscher von Amber. Dara stellt sich als Verräterin heraus. Sie beschreitet das Muster in Amber und verschwindet mit der Prophezeiung, dass Amber zerstört werden wird.

Der Roman ist am ehesten das, was man als Fantasy-Roman bezeichnen würde. Wir haben untote Armeen, Monster, Reisen per Pferd durch weite Landschaften, Kämpfe, Liebe und Betrug. Der Todesfluch, von dem der Leser hier erfährt, hat später leider nicht die Auswirkungen, die hier angedeutet werden. Schlussendlich stört das aber das Lesevergügen nicht.

Im dritten Roman “Im Zeichen des Einhorns” geht es ganz um die Familie. Corwins Bruder Caine wird von ihm tot aufgefunden. Corwin steht so als möglicher Mörder da und könnte auf diese Weise den Thron verlieren. Von seinem anderen Bruder Random erfährt er von einer Intrige, die Eric auf den Thron brachte und durch die Corwin auf der Schatten-Erde schlussendlich auch sein Gedächtnis verlor. Random erzählt Corwin von seinem dritten Bruder Brand, der in einer Welt mit fliegenden Inseln und schrecklichen Wächtern gefangen gehalten wird. Corwin ruft die gesamte Familie zusammen und gemeinsam gelingt es ihnen, durch die Trümpfe Kontakt zu Brand aufzunehmen und ihn zu retten. Irgendjemand der Familie verübt allerdings einen geheimen Messerangriff auf Brand. Auch Corwin wird später angegriffen und kann sich nur mit Mühe auf die Schatten-Erde retten. Er benutzt dazu das Juwel des Geschicks, einen mächtigen Gegenstand, der u. a. das Wetter beherrschen kann.

Für mich ist es der beste Roman des Zyklus’. Intrigen, Mord und eine große Familie voller starker Charaktere bilden den Kern des Romans. Für das Rollenspiel kann daraus weniger gezogen werden als aus den anderen Bänden, doch als Dreh- und Angelpunkt des Zyklus’ funktioniert und unterhält er grandios.

In “Die Hand Oberrons” erfährt der Leser diverse Geheimnisse. Amber ist selbst ein Schatten! Es gibt ein Urmuster. Durch das Blut von Martin, dem Sohn von Random, wurde das Urmuster beschädigt, was u. a. die schwarze Straße als “Wunde” der Welt hervorbrachte. Brand, der sich bereits als Verräter herausstellte, will das Muster vernichten und den Burgen des Chaos die Macht überlassen. Corwin besucht Dworkin, der ihn in Band 1 aus dem Kerker von Amber befreite und sich als sein Großvater herausstellt. Hier wird die ganze Wahrheit über Amber aufgedeckt. Dworkin ist ein Demiurg, der das Muster erschuf – und damit die ganze Welt. Das Muster ist nicht nur symbolisch, sondern ganz real eine Verkörperung der Ordnung, der Gegenpol zum reinen Chaos. Ohne die Ordnung des Musters gäbe es kein Amber und keine Schatten. Dworkin würde gern von vorn beginnen, das Muster und die Welt zerstören und ein neues Muster erschaffen. Doch Oberon hat etwas dagegen. Oberon hat sich in Gestalt von Ganelon mit Corwin angefreundet und verfolgt das Ziel, die Wunde im Muster auf seine Weise zu schließen.

Der Roman ist vor allem spannend, weil er die Rätsel der Welt von Amber klärt. Er ist ein weiteres Highlight der Reihe.

Der letzte Roman “Die Burgen des Chaos” ist leider eine Enttäuschung. Corwin reist im Auftrag seines Vaters zu den Burgen des Chaos, während dieser versucht, das Muster zu reparieren. Oberon scheitert und stirbt bei dem Versuch. Corwin erhält das Juwel des Schicksals und reist durch eine Welt, die durch ein Unwetter langsam zerstört wird. Die Reise verfolgt keinen rechten Plot und besteht aus einzelnen wenig beeindruckenden Szenen, in denen sich Cowin mit Leuten und Wesen unterhält und ab und zu von seinem Bruder Brand angegriffen wird. Schließlich sieht er sich gezwungen, den Versuch zu unternehmen, selbst ein neues Muster zu erschaffen, was ihm natürlich gelingt. Als er schließlich die Burgen erreicht, wird er Teil einer Geiselnahme an deren Ende Brand stirbt. Random wird durch das Einhorn, das Wappentier Ambers, zum neuen Herrscher von Amber bestimmt, stimmt sich auf das Juwel des Geschicks ein und kann so das Unwetter um die Familie herumleiten. Corwin lernt seinen Sohn Merlin kennen, der die Hauptperson des zweiten Zyklus werden wird. Der Roman endet mit diversen kleinen Szenen, die einfach kein großes Ganzes ergeben wollen und sich holprig aneinanderreihen. Obwohl der Roman zwar etwas enttäuscht, bildet er den Abschluss einer großartigen Reihe, die meiner Meinung nach zurecht zu den Klassikern des Genres gezählt wird.

Ordnung und Chaos

Der Kampf zwischen Ordnung und Chaos ist organischer und weniger direkt in Szene gesetzt als in Michael Moorcocks Ewiger-Held-Romanen und gerade deshalb beeindruckender. Dworkin als effektiver Demiurg – die Familie besteht also aus einer Art menschlicher Götter – macht die Geschichte zu etwas Besonderem. Er will die Welt zerstören, um sie neu aufzubauen, was er für effektiver hält, als die alte zu reparieren. Das ist ein faszinierendes und beängstigendes Bild, das den Roman aus der Masse hervorhebt.

Menschen können das Muster zerstören, indem sie Familienblut darauf vergießen. Für das Rollenspiel eröffnet das ungeahnte Möglichkeiten. Das Muster ist die Welt und es kann Fehler enthalten. Ich stelle mir eine Kampagne vor, in der die Charaktere diese Fehler sind. Sie wurden durch den Fehler erschaffen, so wie die schwarze Straße in den Romanen. Sie sind Außenseiter und ohne es zu wissen, eine Gefahr für die Welt. Eine Gruppe von Familienmitgliedern könnte die Charaktere zum Urmuster schicken wollen, damit sie es dort reparieren können – vielleicht in einem Akt der selbstlosen Selbstvernichtung. Andere Familienmitglieder könnten sie zerstören wollen und wieder andere für ihre eigenen chaotischen Zwecke missbrauchen. Die Charaktere werden auf diese Weise Zentrum einer weltenumspannenden Handlung, würden verfolgt und unterstützt und könnten nach und nach aufdecken, wer und was sie sind. Die Reisen durch verschiedene Schatten und die verschiedenen Auswirkungen der Fehler im Muster machen eine solche Kampagne abwechslungsreich und relativ leicht gestaltbar.

Der Todesfluch

Corwins Todesfluch holt in den Schatten sowohl den Kreis als auch die Straße herbei – glaubt er. Der Todesfluch ist ebenfalls ein schönes Bild und kann in fast jeder Fantasykampagne benutzt werden. Er könnte wirklich Welten verändern oder einfach ein Fluch sein, der über die Charaktere oder ihre Verbündeten gelegt wurde und besiegt werden muss. So oder so bietet er die Grundlage für verzweifelte Handlungen und extreme Maßnahmen – Dinge, die jederzeit eine Kampagne spannender machen können.

Die schwarze Straße

… oder auch der Kreis sind tolle Gegner. Nicht nur müssen immer wieder neue Gegner besiegt werden, die daraus hervorkommen, sie bilden in sich bereits ein Rätsel, das es zu lösen gilt. Wo kommt die Straße her, wohin führt sie, wer hat sie erschaffen und was ist ihr Ziel? Das sind Fragen, die die Charaktere beantworten müssen, um sie zu besiegen – von den diversen Untoten und anderen Monstern ganz zu schweigen.

Ein nackter Mann auf einem haarlosen Pferd

Als Corwin die Burgen des Chaos das erste mal aufsucht, trifft er auf einen ebensolchen Mann. Er trägt ein langes scharfes Schwert und ist größer als er von Weitem zunächst scheint. Diesem Bild muss eigentlich nichts hinzugefügt werden.

Dara

… bildet in Teil drei eine tolle Überraschung und Pointe. Für das Rollenspiel zeigt sich eigentlich nur, wie man Verräter einführen kann, ohne dass es den Spielern zunächst auffällt. Sollten sie aber dennoch Verdacht schöpfen und etwas gegen die sorgsam eingeführt Figur unternehmen, bevor sie sich in einer gelungenen Wendung gegen die Charaktere wendet, muss der Spielleiter vorbereitet sein, auf sie zu verzichten und den Spielern den Sieg zu gönnen. Sie werden stolz darauf sein und in Zukunft vermutlich noch häufig davon erzählen, wie sie “den Spielleiter besiegt haben”. Solche Erzählungen will der Spielleiter und sollte auf keinen Fall vorher per Railroading eingreifen, um seine Figur zu retten.