Wie ich magische Gegenstände entwerfe

Autor: Jonas Boungard

Eine der größten Belohnungen für erfolgreiche Abenteurer:innen ist ein mächtiger magischer Gegenstand. Doch zu häufig verkommen magische Gegenstände zu einfachen Werkzeugen, was ihnen in meinen Augen die Magie nimmt. Im Folgenden beschreibe ich, wie ich magische Gegenstände entwerfe und welche Konzepte ich anwende, um das geschilderte Problem zu vermeiden. Nichts davon ist wirklich neu, aber eine kompakte Darstellung halte ich dennoch für nützlich.

Alles hat seinen Preis

Magische Gegenstände verleihen ungewöhnliche und mächtige Fähigkeiten. Doch manche von ihnen verlangen dafür einen Preis. Dieser kann auf zwei Arten umgesetzt werden. In einem Fall besteht der Preis in einem Nachteil für die Träger:innen, der entweder permanent oder nur bei der Nutzung des Gegenstands zum Tragen kommt. Dadurch müssen die Träger:innen abwägen, wann sie den Gegenstand nutzen wollen. In jedem Fall sollte der Nutzen die Nachteile deutlich überwiegen, denn sonst handelt es sich de facto um einen verfluchten Gegenstand. Im anderen Fall müssen die Träger:innen tatsächlich Kosten bezahlen, um den Gegenstand zu nutzen. Dabei kann es sich um Gold, Blut, Monsterteile, um Seelen, Essenzen von Geistern, Sternenstaub, die eigene Lebensdauer oder etwas ganz anderes handeln. Auf diese Weise treibt der Gegenstand stetig die Geschichte voran, indem er die Charaktere zwingt, neue „Nahrung“ zu beschaffen. Auch hier sollte der Nutzen des magischen Gegenstands hoch sein, damit die Charaktere überhaupt in Erwägung ziehen, den Preis zu zahlen.

Andere Fraktionen

Die Charaktere bilden nicht die einzige Abenteurergruppe in der Spielwelt, die sich auf die Suche nach Reichtum und Artefakten begibt. Neben ihnen existieren Hexenzirkel, verborgene Magierakademien und andere Zauberergruppierungen, die nichts lieber wollen, als ein volles Arsenal magischer Artefakte. Sind die Charaktere also im Besitz einiger magischer Gegenstände, heften sich Alchemist:innen, Abenteurergruppen, Kopfgeldjäger:innen oder beschworene Dämonen an ihre Fersen, um die magischen Gegenstände in ihren Besitz zu bringen. Dadurch werden diese Teil der Geschichte und können nicht mehr auf ihre Funktionen reduziert werden. 

Nicht alle Gruppierungen sind grundsätzlich feindselig. Mit manchen lässt sich verhandeln. Diese Option sollte allerdings nicht zu einer Verkaufsmöglichkeit für magische Gegenstände verkommen. Ein echter Handel mit magischen Gegenständen nimmt diesen jeden Reiz. Stattdessen können die Charaktere mit einer Fraktion ein Bündnis schließen oder diese steht in der Schuld der Charaktere. Vielleicht hat die Gruppierung einen nachvollziehbaren Grund, warum sie einen Gegenstand benötigt, beispielsweise weil sie eine drohende Gefahr abwenden will. Schenken die Charaktere einer verbündeten Fraktion ein magisches Artefakt, sollte dies die Bindung zwischen beiden Gruppen stärken. Nur in seltenen Fällen sollte die Spielleitung die Verbündeten angesichts ihrer erstarkten Macht in den Rücken der Charaktere fallen lassen, denn dies zerstört das Vertrauen der Spieler:innen in bestehende und zukünftige Verbündete. Treffen die Charaktere dann auf wirklich gute Fraktionen, wird die Spielleitung jede Menge Mühe investieren müssen, damit die Spieler:innen der Fraktion wirklich trauen.

Anpassbarkeit

Normalerweise sind magische Gegenstände statisch und verändern sich im Laufe der Zeit nicht. Doch die Charaktere könnten einen magischen Gegenstand auch ihren Bedürfnissen anpassen. In Abhängigkeit der Spielwelt stehen ihnen dafür verschiedene Wege offen. Erhalten magische Gegenstände ihre Macht durch in sie gebannte Dämonen, Elementare oder Geister, können die Charaktere weitere Wesen in den Gegenstand binden, der ihm zusätzliche Fähigkeiten verleiht. Allerdings kann dies Konflikte zwischen den gebundenen Wesen hervorrufen. Werden magische Gegenstände durch mächtige Zauberschmiede erschaffen, können die Charaktere solche Zauberschmiede aufsuchen, die gegen bergeweise Gold oder die Erfüllung einer Queste einen magischen Gegenstand umschmieden und verändern. Erschaffen Mager:innen und Hexenmeister:innen magische Gegenstände in Zauberritualen, können die Charaktere solche Rituale lernen, um bestehenden Gegenständen weitere Fähigkeiten zu verleihen. Schließlich könnten ordinäre Gegenstände durch den Einsatz gegen übernatürliche Wesen zu magischen Gegenständen werden, oder die Fähigkeiten existierender Gegenstände verändern.

Dadurch können zwei Probleme vermieden werden, die manchmal bei magischen Gegenständen auftreten. Erstens finden Charaktere im Laufe einer Kampagne neue magische Gegenstände, die mächtiger sind, als ihre bisherigen, wodurch diese obsolet werden. Allerdings sind magische Gegenstände, die nie zum Einsatz kommen, sinnlos. Durch die Anpassarbeit können die Charaktere früh gefundene und somit liebgewonnen Gegenstände aufwerten und weiternutzen. Zweitens haben manche magischen Gegenstände extrem spezifische Anwendungsgebiete. Schleppen die Charaktere ein Schwert herum, das nur gegen Riesen hilfreich ist, wird es wertlos, wenn die Charaktere das Riesenkönigreich dem Erdboden gleichgemacht haben. Hat es hingegen durch den Sieg über die Riesen neue Kräfte bekommen, bleibt es wert- und bedeutungsvoll. Die Aufwertung stellt in dem Fall sogar eine weitere Belohnung dar.

Flüche und Questen

Verfluchte magische Gegenstände finden sich ebenfalls seit den Anfangstagen der Rollenspiele im Arsenal der Spielleitung. Allerdings gefällt mir das übliche Konzept verfluchter Gegenstände nicht. Wenn in einer Schatzkammer ein Haufen Münzen, eine Schriftrolle, ein magisches Schwert und eine verfluchte Rüstung liegen, werden die Charaktere wohl wenig Skrupel haben, auch die Rüstung mitzunehmen. Sollten sie später vom Fluch erfahren, soll dies im besten Fall ihre Vorsicht nähren und ihnen eine Lektion sein, doch eigentlich wurden sie hintergangen. Es muss mindestens einen klaren Hinweis geben, dass mit einem verfluchten Gegenstand etwas nicht stimmt, damit die Spieler:innen überhaupt die Chance haben, ihn als Gefahr zu erkennen.

Mein Vorschlag für verfluchte magische Gegenstände zielt in eine andere Richtung. Ein verfluchter magischer Gegenstand zwingt seinen Träger zu einer bestimmten Queste. Im besten Fall teilt der Gegenstand dies mit, entweder verbal, durch Gedankenübertragung oder durch eine auf dem Gegenstand erscheinende Inschrift. Wenn ein Charakter die Queste erfüllt, werden er und der Gegenstand vom Fluch erlöst. Im besten Fall schaltet er noch mächtigere Eigenschaften des Gegenstands frei. In der Spielwelt sollte es zusätzlich möglich sein, den Fluch durch andere Wege als die Queste loszuwerden, da sonst ein de-facto Zwang für den betroffenen Charakter besteht, der Queste zu folgen. Durch diesen alternativen Weg könnte aber die Magie des Gegenstands abgeschwächt werden oder die mächtigeren Eigenschaften für immer verborgen bleiben. Dadurch stehen der Charakter und die ganze Gruppe vor einer bedeutungsvollen Entscheidung.

Bei all dem sollte die Spielleitung fair bleiben. Es sollte im Vorfeld die Chance geben, den Gegenstand als verflucht zu erkennen.

Intelligenz

Bereits seit den Anfängen des Rollenspiels gibt es magische Waffen, die über ihren eigenen Willen und ihre eigenen Ziele verfügen. Dadurch werden sie zu Nichtspielercharakteren, die nicht immer das tun, was die Charaktere von ihnen möchten. Die Charaktere müssen sich stattdessen mit ihnen arrangieren, mit ihnen verhandeln oder sie sogar einschüchtern. Welches magische Schwert hört schon gerne, dass es in den nächsten Vulkan geworfen wird, wenn es dem Charakter nicht beim Kampf gegen den Schattendämon zur Seite steht. Das erzeugt neue interessante Interaktionen und kann außerdem neue Ansatzpunkte für die Geschichte der Gruppe liefern, weil sie zum Beispiel auf uralte Legenden stoßen, von neuen Gegner:innen erfahren oder zur Besänftigung der Waffe erst eine Queste abschließen müssen. So bauen die Charaktere im Laufe der Zeit eine Beziehung zur Waffe auf.

Seltsamerweise beschränken sich die meisten Rollenspiele auf Regeln für intelligente magische Waffen. Doch warum bei Waffen aufhören? Andere magische Gegenstände können ebenso intelligent sein, sodass sich die oben genannten interessanten Möglichkeiten eröffnen. Siebenmeilenstiefel könnten die Charaktere gezielt zu einem Ort bringen, an den die Charaktere aktuell gar nicht wollten, an den sie aber sonst nur sehr schwer gekommen wären. Vor Ort könnten die Siebenmeilenstiefel sie zu ihrer Erschafferin führen, die aber gerade im Sterben liegt. Bei anderen Zielen wehren sich die Siebenmeilenstiefel jedoch. Vielleicht können die Charaktere sie aber austricksen?

Wie bereits bei Flüchen und Questen erwähnt sollte es im Vorfeld die Chance geben, herauszufinden, was der Gegenstand will oder machen wird.

Keine Spielwerte, sondern Experimente

Magische Gegenstände sind interessant, wenn die Spieler:innen mit ihnen herumexperimentieren können. Ein magischer Gegenstand benötigt also nicht zwingend Spielwerte. Stattdessen können magische Gegenstände ungewöhnliche, aber breit einsetzbare Effekte haben. Im besten Falle können die Spieler:innen sich diese durch Ausprobieren erschließen. Es ist wichtig, den Effekt allgemein zu formulieren, sodass der Gegenstand nicht zu einem Spezialwerkzeug wird, sondern die Kreativität der Spieler:innen anregt. Am einfachsten geht das, indem die Effekte etablierter magischer Gegenstände abgewandelt werden. Dazu zwei Beispiele: 

Statt eines Ringes der Unsichtbarkeit erlangen die Charaktere einen Ring des Spiegelns, der die Träger:innen nicht unsichtbar werden lässt. Stattdessen sieht jedes Wesen, dass die Träger:innen anschaut, ein Bild seiner selbst.
Ein Ring des Wasserwandels verleiht den Träger:innen nicht einfach die Fähigkeit, über Wasser zu gehen, sondern verwandelt Wasser unter den Füßen zu Eis. Dadurch können andere Charaktere den Träger:innen solange folgen, bis das Eis geschmolzen ist. 

Namen

Gib den Gegenständen eigene Namen oder lass die Spieler:innen Namen erfinden. Dadurch entsteht eine viel stärkere Bindung zwischen dem Charakter und dem Gegenstand. Der Gegenstand ist nicht mehr ein einfaches Ding, sondern ein Artefakt oder sogar ein Freund.

Umgekehrt können Charaktere ihren eigenen Namen ausschmücken und zeigen, über welche Artefakte sie verfügen. „Grimbald Ungurson“ klingt gut, aber „Grimbald Ungurson, Herrscher über den Donnerschild“ klingt weit eindrucksvoller. Der Gegenstand wird damit ein Teil der Identität der Trägerin bzw. des Trägers.

Mächtiger Träger – Mächtige Wirkung

Eine Variante der Anpassbarkeit besteht darin, die Fähigkeiten des magischen Gegenstands mit der Macht des Trägers skalieren zu lassen. Entsprechende Vorbilder finden sich bereits in der Fantasy-Literatur: Der Eine Ring macht Bilbo und Frodo nur unsichtbar, aber Sauron lässt er Mittelerde unterjochen. 

Die Skalierung kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Bei stufenbasierten Systemen können Fähigkeiten einfach bei einem Stufenaufstieg mächtiger werden, beispielsweise der Schaden einer magischen Waffe. Die Träger:innen könnten sich durch mächtige Questen gegenüber dem Gegenstand beweisen, der dadurch merkt, in den richtigen Händen zu sein. Ebenso könnten die Träger:innen einen Pakt mit einem Dämon oder Teufel eingehen, die in sie einfahren, um so das ganze Potential des magischen Gegenstands auszuschöpfen.

Prophezeiungen

Eine erzählerische statt mechanische Möglichkeit besteht darin, einen magischen Gegenstand mit einer Prophezeiung zu verknüpfen. Die Charaktere erfahren im Vorfeld eines Abenteuers, durch Informationen am Fundort oder durch den magischen Gegenstand selbst, dass, wer immer den Gegenstand besitzt, Großes tun wird. Beispielsweise wird die Person zu einem Drachentöter, einer Weltenwandererin oder einem Dämonenbeschwörer. Die Prophezeiung sollte dabei mit den Fähigkeiten des Gegenstands verknüpft sein.

Bei der Umsetzung der Prophezeiung gibt es zwei Möglichkeiten. In einem Fall es handelt es sich um eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Das heißt, der Gegenstand verfügt über gewisse für die Erfüllung der Prophezeiung hilfreiche Fähigkeiten, aber die Träger:innen selbst verändern sich nicht. Allerdings könnte sie oder er gerade angesichts der Fähigkeiten des Artefaktes auf die Idee kommen, die Prophezeiung zu erfüllen. Im anderen Fall verändert der magische Gegenstand die Identität der Träger:innen, sodass diese tatsächlich zu „dem Drachentöter“ oder zu „der wiedergeborenen Königin“ werden. Es geht also eine gewisse Pflicht mit dem magischen Gegenstand einher und der Charakter kann gar nicht anders, als diese zu erfüllen. Letzteres sollte unbedingt im Vorfeld klar gemacht werden, um den Spieler:innen die Entscheidung zu überlassen, ob sie den Gegenstand wirklich an sich nehmen.

Verschleiß

Mit magischen Gegenständen assoziieren viele Unzerstörbarkeit oder zumindest große Herausforderungen, sie zu vernichten (zum Beispiel beim Einen Ring oder den Horkruxen). Doch was, wenn magische Gegenstände im Laufe der Zeit verschleißen? Dann müssen die Spieler:innen sich immer wieder neu entscheiden, die große Macht eines Gegenstands zu nutzen, und ihn damit der Zerstörung näher zu bringen oder verbleibende Anwendungen für schwierigere Situationen aufzusparen. Um diese Entscheidung noch interessanter zu gestalten, könnte der Gegenstand bei jeder Benutzung mächtiger werden, bis seine Macht so groß wird, dass er in arkanen Energien verglüht. Dabei kann es sich zum Beispiel um eine Waffe aus Kristall handeln, in die ein Feuerelementar gebannt wurde. Bei jeder Benutzung erhält die Waffe immer mehr Risse, sodass das Elementar schließlich befreit wird und explosionsartig zu seiner Heimatebene zurückkehrt. Damit wird dem Effekt vorgebeugt, der häufig bei Verbrauchsgegenständen in Rollenspielen zu beobachten ist: Sie werden bis zum bitteren Ende aufgespart und kommen nicht zum Einsatz.

Diesem Effekt kann ebenfalls entgegengesteuert werden, indem der magische Gegenstand mit Verschleiß reaktiv wirkt, zum Beispiel ein Schild, dass ein begrenzte Menge magischen Schadens absorbieren kann, oder der magische Gegenstand die Charaktere Probleme lösen lässt, die sonst unüberwindbar wären, zum Beispiel ein Portalschlüssel, der den Zugang zu anderen Welten öffnet oder verschließt. In diesem Kontext empfehle ich das Video „Consumable Items (and why I barely use them)“ des Youtubers Razbuten. Der letzte Ansatz funktioniert vor allem in OSR-Spielen, in denen die Charaktere regelmäßig mit Herausforderungen konfrontiert werden, die „zu schwer“ für sie sind.