Über Rätsel

Ü
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Atemlos lebt es
kalt wie der Tod schwebt es
kennt keinen Durst
doch dennoch trinkt es
trägt ein Kettenhemd
doch nie klingt es
– J.R.R. Tolkien
Der Hobbit

Rätsel im Rollenspiel sind geliebt und gefürchtet. Letzteres trifft vor allem auf Spieler zu, die sich einem grinsenden Spielleiter gegenüber sehen, der ständig die Worte murmelt: „Jetzt überlegt nochmal. Das ist gar nicht so schwer. Wirklich nicht.“ Solche Situationen sind bestenfalls unangenehm und schlimmstenfalls ein Grund den Tisch umzuwerfen. Dabei sind Rätsel Klassiker des Anhangs N, der Liste der Literatur, die Gary Gygax zum erfolgreichsten Rollenspiel rund um Verliese und Drachen inspiriert hat. Und auch viele Helden aus Sagen und Legenden müssen sich ihnen stellen, um ihre Queste zu erfüllen.

Trotzdem führen Rätsel viel zu oft zu „Ist mir egal, ich hol mein Butterbrot raus und warte bis uns ein NSC das Rätsel löst.“ Dabei gibt es für gelungene Rätsel eine ganz einfache Regel: Mache sie nicht zu Spielstoppern. Werfen wir dazu einen Blick in besagte Literatur.

Rätsel in der Dunkelheit

Sowohl im Herrn der Ringe als auch im Hobbit kommen Rätsel an prominenter Stelle vor. Wenn Bilbo Beutlin mit Gollum das uralte und heilige Rätselspiel spielt, dann ist es ein Schlagabtausch mit ungewissem Ausgang. Es ist ein Kampf der Geister und Versagen bedeutet gefressen zu werden.
Im Herrn der Ringe muss Gandalf, sicherlich der Klügste der Gefährten, herausfinden wie das Zauberwort lautet, um Moria zu betreten: Sprich, Freund, und tritt ein. Hier sind die Gefährten angewiesen auf die Lösung des Rätsels, schließlich wurden ihnen alle Alternativen für die Reise genommen.

Der Eingang zu Moria ist ein Spielstopper. Das ist eines der Rätsel, die nur Frust verbreiten und alle Spieler das Ende des Spielabends herbeisehnen lassen. Scheitern beim Rätsel bedeutet Stillstand. Das macht weder Spaß, noch ist es besonders clever oder herausfordernd. Es ist der einzige Weg, den die Gruppe gehen kann, warum sollte sie also so gegängelt werden?

Bei Gollum ist es hingegen etwas anderes. Hier können Rätsel einen Kampf verhindern, aber man hat immer noch die Wahl. Bilbo ist kein großer Kämpfer, er weiß, dass er Gollum körperlich unterlegen ist und verlässt sich lieber auf seine Schläue. Aber er könnte kämpfen oder fliehen. Er hat eine Wahl. Die Gefährten vor Moria haben keine Wahl. Moria war ihre letzte Entscheidung.

Viel spannender wäre, wenn man innerhalb Morias eine Tür fände. Man weiß, dass sie einen Teil des Weges abkürzen würde und dass man zahlreiche Orks umgehen könnte. Nur leider ist diese Tür mit einem Rätsel gesichert. Wenn die Spielrunde nun schlau ist, dann kann sie das Rätsel lösen und wird für ihre Schläue belohnt. Das ist ein besserer Einsatz eines Rätsels.

Sprich, Freund, und tritt ein

Ist das Rätsel um die Tore von Durin, welche den Weg nach Moria versperren, denn tatsächlich so schlecht? Mitnichten. Die Szenerie und die Schwierigkeiten Gandalfs das Rätsel zu lösen sind eine Abschweifung wert. Die Szene ist entscheidender als es zunächst den Anschein hat. Sie beleuchtet die Gefährten und zeigt, ein weiteres Mal, Gandalfs Schwächen. Zuvor berichtete er im Rat Elronds über seine Gefangennahme, nun sehen wir den weisen Zauberer an einem Rätsel verzweifeln und sogar seine Contenance verlieren. Dagegen sehen wir die kleinsten Mitglieder der Gemeinschaft, die Hobbits aus dem Auenland, welche die richtige Spur zur Lösung des Rätsels verfolgen. Die Bindung der Gemeinschaft wächst, das Spotlight fällt auf andere Gefährten, das Rätsel wird gelöst und es öffnet sich das Tor ins düstere Zwergenreich von Moria. Gerade noch rechtzeitig, denn der Wächter im Wasser droht bereits die Abenteurer zu verschlingen.

Das Rätsel war also eher ein Blick auf die Gemeinschaft als ein intellektuelles Problem. Es zeigte wie verschiedene Charaktere einem Problem begegnen und wie es gemeinsam gelöst wird. Dass die Antwort des Rätsels, Mellon, noch „Freund“ bedeutet, ist besonders kunstvoll und verdient gesonderte Aufmerksamkeit.

Rätsel besitzen darüber hinaus eine weitere Bedeutung, auch jenseits ihrer Lösung. Ein Rätsel gibt immer auch etwas über seinen Schöpfer und seine Absicht preis. Dass die Zwerge ein elfisches Wort benutzen, um ihre gigantische Mine zu betreten, sagt mehr aus als man zuerst bemerkt. Es zeigt ein Verständnis zweier Kulturen füreinander und weist auf eine vergessene, andere Zeit hin. Gollum fällt es hingegen schwer, Rätsel zu beantworten, die Bilder aus der Oberflächenwelt beschreiben (Gänseblümchen), da er schon sehr lange in der Finsternis lebt. Er stellt hingegen ein Rätsel über seine Lieblingsmahlzeit: Fisch.

Ein Rätsel in einem Dungeon muss einen Grund haben, warum es da ist. Es könnte etwas über seinen Erbauer verraten (war er verrückt oder wollte er Abenteurern eine Chance bieten oder ist es vielleicht gar kein Rätsel für ihn) und dazu muss es gar nicht gelöst werden. Die Lösung ist nicht entscheidend, sondern die Geschichte dahinter und das, was die Spieler über den Dungeon erfahren haben. Das Rätsel wird zum Hinweis.

Rätsel anwenden

Trotzdem ist diese Form der Rätsel noch immer ein top-down Ablauf. Der Spielleiter stellt eine Frage und die Spieler müssen antworten. Haben sie keine Antwort, gibt es eine meist negative Konsequenz. Um das zu vermeiden kann es ratsam sein, die Rätseleien umzukehren; sie zu einem bottom-up Model zu machen. Hier stellen die Spieler dem Spielleiter ein Rätsel, das er nun beantworten muss.

Man will den Palast des Riesenkönigs betreten? Der Wächter will aber ein Rätsel hören, dass er noch nicht kennt, damit er in den Wintermonaten seine Brüder beeindrucken kann. So geschehen in Dreiherz von Poul Anderson und ebenfalls ein gutes Beispiel aus der Literatur. Und niemandem am Tisch wird es den Spaß verderben, wenn der Spielleiter in der Rolle des tumben Riesen das Rätsel nicht lösen kann.

Will man dennoch als Spielleiter ein Rätsel stellen, so sollte man den Selbsttest machen. Es gibt zahllose Sammlungen von Rätseln und wenn ein Passendes gefunden wurde, sollte man versuchen es selbst zu lösen. Herrscht nach fünf Minuten noch immer bedenkliche Ahnungslosigkeit, sollte man vielleicht noch einmal darüber nachdenken, das Rätsel einzubauen.

Ein anderes Problem der Rätselei ist die Flucht in Spielmechaniken: „Mein Magier hat aber Intelligenz 18. Der MUSS das doch lösen können.“ Argumentiert man mit Matt Finchs Old-School-Fibel, so ist klar, dass die Fertigkeiten der Spieler mit einem Rätsel getestet werden und nicht die Fertigkeiten des Charakters. Auch sehr kluge Abenteurer, wie beispielsweise Gandalf, wissen nicht alles. Möchte man dennoch eine hohe Intelligenz in die Rätseleien einfließen lassen, so kann man pro Attributsbonus einen Tipp geben oder eine Ja-oder-Nein-Frage stellen.

Der beste Tipp für Rätsel sind der dosierte Einsatz sowie die Möglichkeit, das Rätsel auch anders zu knacken. Etwas, das hinter einem Rätsel verborgen ist, sollte immer ein Bonus sein und kein bedeutender Bestandteil zur Fortführung des Abenteuers. Wenn in einem Magierturm die Bibliothek des Zauberers durch einen Rätselspruch gesichert ist, dann wäre es großartig für den Magier neue Zauber zu finden. Aber wenn man das Rätsel nicht lösen kann, dann hat man immer noch die Schatzkammer des Turms und kehrt nicht mit leeren Händen heim. Die Bibliothek wäre ein Bonus für die Spieler.
Zudem existiert das Rätsel nun in der Spielwelt. Man könnte eine Sphinx oder einen Drachen finden, der dieses Rätsel beantworten kann. Ein Orakel auf einem Berg weiß womöglich die Antwort oder man erfährt die Antwort als Vision in einem Tempel. Hat man die Lösung einmal erfahren, so kann man zurückkehren und die Belohnung einstreichen, doch vielleicht ist der Magier zurück und erwartet einen bereits …

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